Der ehemalige Bayer 04-Profi und Nationalspieler Togos schreibt in seinem Buch darüber, wie er in Deutschland heimisch wurde, wie seine sportliche Karriere in Leverkusen Fahrt aufnahm, welche Höhen und Tiefen und dramatischen Momente er auf seinen vielen Stationen erlebte. Und auch darüber, wie er wieder zurück nach Leverkusen fand. Denn heute ist der 33-jährige als Talentscout bei Bayer 04 tätig – und engagiert sich zudem als „deutscher Togolese“ für Projekte in Afrika.
„Nun bin ich schon lange hier, und es fühlt sich gut an, dieses Deutschland.“ So beginnt Assimiou Tourés Autobiographie „Erst Heim, dann Heimat“. Damals, an einem trüben Novembertag 1993, als der fünfjährige Junge aus Togo in Frankfurt gelandet war, fühlte es sich für ihn noch nicht so gut an, dieses Deutschland. Ohne Begleitung hatte er die weite Reise gemacht. Seine Mutter, die bereits drei Jahre zuvor mit Geschwistern und einer Cousine eingereist war, holte ihn am Flughafen ab. Die Cousine hatte sich in Togo bei einem Unfall schwerste Brandverletzungen zugezogen, die in Deutschland behandelt wurden. Die Tourés stellten einen Asylantrag – und nun also würde auch für Assimiou hier ein neues Leben beginnen.
„Mein Leben als Deutscher“, lautet der Untertitel von Tourés Buch. Wie weit der Weg für ihn war, Deutscher zu werden, das erzählt der 33-Jährige im ersten Teil seiner Autobiographie sehr eindrücklich. Von Frankfurt aus ging es nach Bergneustadt, wo die Mutter in einem Heim für Asylbewerber untergebracht war, das jetzt auch Assimious neues Zuhause wurde. „Lebensfreude und Lachen waren hier ausgestorben“, schreibt Touré. Die nächsten zwölf Jahre seines Lebens wird er hier verbringen.
Er schildert den Alltag dort mit den Augen eines Kindes, das unter den Heimbewohnern aus den unterschiedlichsten Kulturen „seelische Kälte“ empfindet. „Es war eine heftige Zeit und trotzdem gewöhnt man sich an alles irgendwann.“ Außerdem ist der Junge unerschütterlicher Optimist. Und er liebt die deutsche Sprache. Was sich als großer Vorteil erweist. Bei vielen anderen Heimbewohnern habe das Nichtbeherrschen der Sprache Unsicherheit und Aggressionen ausgelöst. Sie seien als Einzelkämpfer unterwegs gewesen, vor denen man sich in Acht nehmen musste.
Immer wieder kommt Assimiou Touré vom Erzählen ins Reflektieren – und umgekehrt. Auch das macht den Reiz des Buches aus. Seine Hautfarbe, wegen der er im Schulkindergarten die ersten Hänseleien über sich ergehen lassen muss, spielt in vielen Kapiteln eine Rolle. Aber wirkliche Diskriminierung erfährt Touré nur selten. „Ich stellte fest, dass die Menschen stets positiv auf mich reagierten, auch als ich noch nicht so gut Deutsch sprach“, schreibt er.
Besonders die Familie Falkenberg nimmt sich seiner an. Mutter Falkenberg wird seine erste Trainerin beim SSV 08 Bergneustadt. Auch ihr Mann ist Trainer im Verein, ihre Söhne Dennis und Kim kicken natürlich ebenfalls. Der Fußball wird für Touré zum Schlüssel für seine Integration, Kim zu seinem besten Freund. Gemeinsam mit ihm wird er 1999 zu einem Probetraining bei Bayer 04 eingeladen. Die beiden sind 11 und überzeugen auf dem Trainingsplatz. Das Kapitel Leverkusen kann beginnen. Später würden ihre Karrieren unterschiedlich verlaufen. Aber heute arbeiten die einstigen Leverkusener Talente wieder eng zusammen: im Scouting von Bayer 04. Kim Falkenberg ist Chef der Abteilung, Assimiou dort Nachwuchs-Scout. Im Fußball trifft man sich eben immer mindestens zweimal…
Was ihm Klub und Stadt bedeuten, nimmt viel Raum ein in Tourés Buch. „Die Zeit bei Bayer 04 hat mich sehr geprägt und ich habe dort eine Struktur bekommen, eine Prägung, die mich bis heute begleitet“, schreibt Assimiou. Der Klub hilft ihm sehr, als die Familie Touré 2004 plötzlich abgeschoben werden soll. Assimiou wohnt eine Weile bei Ex-Bayer 04-Profi und Juniorentrainer Thomas Hörster und dessen Familie. Auch seine Mutter und seine Schwester verlassen das Heim und ziehen in eine normale Wohnung in Leverkusen. Statt der Abschiebung erhalten die Tourés schließlich sogar die unbefristete Aufenthaltsgenehmigung und Assimiou wenig später gar die deutsche Staatsbürgerschaft. Jetzt darf er offiziell für die Junioren des Deutschen Fußball-Bundes spielen.
Die Dankbarkeit dafür, dass Bayer 04 ihn auch bei der Einbürgerung mit großem persönlichen Einsatz unterstützte, bringt Touré im Buch immer wieder zum Ausdruck. „Ich spielte weiter für Bayer 04, nur eben als Deutscher, was ich meinem Herzensklub niemals vergessen werde.“ Vier Pflichtspiele macht er insgesamt als Werkself-Profi.
Im Jahr 2006, er ist gerade volljährig geworden und kommt mit der deutschen U18-Nationalmannschaft von einem Lehrgang in Hennef, überbringt Rudi Völler Touré in der BayArena die Nachricht, dass Otto Pfister, der Nationaltrainer Togos, ihn für den WM-Kader seines Heimatlandes nominiert habe. Auch wenn ihn diese Ankündigung zunächst in ein „emotionales Chaos“ stürzt, sagt er schließlich zu. Ein Gespräch mit Völler habe ihm bei seiner Entscheidung geholfen, schreibt Assimiou, der seiner Zeit als Nationalspieler Togos viele Seiten widmet. Zwei Spiele macht er für sein Heimatland bei der WM in Deutschland, ein Höhepunkt seiner Karriere. „Ich war plötzlich eine Brücke zwischen Togo und Deutschland. Alle waren stolz.“ Nach der WM wird er Lizenzspieler bei der Werkself, gibt sein Profi-Debüt beim 1:1 gegen Brügge im UEFA-Cup, feiert kurz darauf gegen den Hamburger SV auch seine Bundesliga-Premiere für Schwarz-Rot.
Aber Touré spart in seinem Buch auch die bitteren Momente als Fußballer nicht aus. Ein Schien- und Wadenbeinbruch wirft ihn 2007 – er ist inzwischen an den VfL Osnabrück ausgeliehen – weit zurück. Als er 2009 wieder bei Bayer 04 unter Jupp Heynckes zum Kader gehört, wird er zum Afrika-Cup eingeladen. Und erlebt hier im Januar 2010 seine schlimmsten Augenblicke. Auf der Fahrt von Brazzaville (Kongo) nach Cabinda in Angola greifen angolanische Rebellen den togolesischen Mannschaftsbus an. Im Kugelhagel sterben der Co-Trainer und der Pressesprecher der Nationalelf sowie der Busfahrer. Einige Teamkollegen werden zum Teil schwer verletzt. „Es war ein Alptraum, der in mir bis heute lebendig ist“, schreibt Assimiou, der den Anschlag selbst unverletzt übersteht. Wie er diese traumatisierenden Szenen vom 8. Januar 2010 schildert, geht unter die Haut.
Welche Spuren die Ereignisse bei ihm hinterlassen haben, wird zwischen den Zeilen in den folgenden Kapiteln immer wieder deutlich. Touré wechselt, nachdem sein Vertrag in Leverkusen im Sommer 2010 ausgelaufen ist, häufig die Klubs. Arminia Bielefeld, Babelsberg 04, KFC Uerdingen, Bonner SC und SpVgg Burgbrohl – seine weiteren Stationen sind nur von kurzer Dauer.
Ganz offen schreibt Touré auch über seine finanziellen Nöte in einer Phase der Neuorientierung. Irgendwann nimmt er deshalb am Flughafen Köln-Bonn eine Stelle bei UPS an. Nebenbei arbeitet er als Co-Trainer der A-Junioren von Viktoria Köln. Und dann trifft er zufällig bei einer Hochzeit Frank Ditgens, den pädagogischen Leiter am Leistungszentrum Kurtekotten. Es ist der Anfang von der Rückkehr „in mein geliebtes Leverkusen“. „Back to Bayer, back to Life“, heißt deshalb ein Kapitel. Inzwischen ist Assimiou Touré als Talentscout für Bayer 04 tätig.
Was „Erst Heim, dann Heimat“ so lesenswert macht, ist nicht nur der Rückblick auf eine spannende Fußballer-Karriere mit ihren Ups und Downs. Es sind auch Tourés Gedanken über Rassismus und Diskriminierung, über sein Verständnis von Integration und über Afrika, die aus seinem Buch eine sehr lohnende Lektüre machen.
Assimiou Touré
Erst Heim, dann Heimat – Mein Leben als Deutscher
Verlag Nagel & Kimche
Gebundenes Buch
175 Seiten
22 Euro