Eine Tor­hü­ter-Legende wird 80

Fred Bock­holt im Inter­view

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Am Ortseingangsschild steht ein alter Förderwagen mit der Aufschrift: Glückauf Bottrop, 162 Jahre Bergbaustadt 1856 - 2018. Nur ein paar Straßen weiter wohnt das Bottroper Urgestein Fred Bockholt. Am 24. Juni 1943 ist er in der Stadt geboren. Unter Tage hat er zwar nie gearbeitet, aber tief verwurzelt ist er hier dennoch. Auch in seinen insgesamt acht Jahren bei Bayer 04 von 1975 bis 1983 hat er in Bottrop gelebt, nahm die zwei Stunden Fahrtzeit hin und zurück gerne in Kauf. Trotzdem sind auch Leverkusen und Bayer 04 dem Torhüter, der 1979 mit dem Klub in die Bundesliga aufstieg, ans Herz gewachsen. Heute feiert Fred Bockholt seinen 80. Geburtstag. Ein schöner Anlass, um mit ihm über alte Zeiten und neue Herausforderungen zu plaudern.

Fred, du warst fast 30 Jahre Torwart – wie ist es jetzt mit 80 um deine Gesundheit bestellt?

Bockholt: Ich kann wirklich nicht klagen. Bis heute hatte ich nie Probleme mit den Gelenken, weder in den Knien noch in der Hüfte. Womit viele Torhüter ja leider später in ihrem Leben häufiger zu tun haben. Da habe ich Glück gehabt. Ich versuche aber auch, mich fit zu halten, so gut es geht. Vor Kurzem habe ich einen Stent eingesetzt bekommen, weil der Motor ein bisschen stotterte. Aber ich fange jetzt schon wieder mit dem Tennisspielen an und werde auch wieder Skifahren. Außerdem mache ich bei meinen täglichen Spaziergängen mit Cooper, meinem Golden Retriever, meine Dehnübungen und Liegestütze.

Wie viele schaffst du?

Bockkholt: 50 bis 60 kriege ich noch hin. Meistens mache ich die aber in kleinen Serien an rumliegenden Baumstämmen. Und ich achte darauf, dass mich niemand dabei beobachtet. Mir ist es nämlich schon mal passiert, dass eine Frau mich fragte, ob sie mir helfen könne, als sie mich da so über dem Baum hantieren sah (lacht).

Wie und wo wirst du denn deinen 80. Geburtstag feiern?

Bockholt: Mit meiner Familie in Großarl im Salzburger Land, wo wir seit Jahren immer zum Wandern sind. Wir sind diesmal mit Kindern und Enkelkindern 15 Personen. Ich freu‘ mich riesig darauf.

Dein ehemaliger Schützling Rüdiger Vollborn hat dir bereits auf dieser Homepage hier im Namen von Bayer 04 gratuliert…

Bockholt: Ja, das hat mich auch sehr berührt. Ich war damals sein erster Torwarttrainer in Leverkusen. Ich glaube sogar, ich war überhaupt einer der ersten Torwarttrainer in Deutschland Anfang der 1980er-Jahre. Bis dahin hatten das immer die Cheftrainer oder die Co-Trainer gemacht. Ich kann mich gut erinnern, dass Willibert Kremer immer einen Heidenspaß hatte, wenn er sich an den Elfmeterpunkt stellte und mir die Bälle von dort aus rechts und links oben in die Ecken drosch, da kamst du nicht dran, keine Chance. Aber Willibert freute sich, dass er noch so gut Elfmeter schießen konnte. Vom Sechzehner aus, nee, das war ihm dann doch zu weit…

Mit dem Bundesliga-Aufstieg haben wir uns für eine sensationelle Saison belohnt. Und wenn ich mir anschaue, wie es dann im Laufe der weiteren Jahre bis heute für Bayer 04 weiterging, ist es ein schönes Gefühl, dass wir mit der Aufstiegsmannschaft damals den Grundstein für diese Entwicklung gelegt haben.

Als du 1981 deine Karriere beendet hast, warst du fast 38. Auch damals war das für einen Fußballer schon ein stolzes Alter.  

Bockholt: Genauer gesagt, war ich 37 Jahre, 11 Monate und 20 Tage alt. Das weiß ich aber auch nur, weil mir mal jemand die Top 10 der ältesten Werkself-Spieler zugeschickt hat. Ich stehe dort tatsächlich auf Platz 1, gefolgt von Sami Hyypiä (37 Jahre, 7 Monate, Anmerkung der Redaktion) und Ulf Kirsten (37 Jahre, 5 Monate, 13 Tage, A.d.Red.). Worauf ich wirklich stolz bin, ist, dass ich in meiner letzten Saison 1980/81 noch alle 34 Bundesligaspiele für Bayer 04 bestritten habe. Das letzte war ein 1:1 im Heimspiel gegen den 1. FC Nürnberg. Ich hatte sechs herrliche Jahre als Spieler in Leverkusen, habe mein Karriereende selbst bestimmt und stand bis zum Schluss zwischen den Pfosten.

Sechs herrliche Jahre, sagst du. Aber am Anfang warst du nicht so überzeugt davon, ob Leverkusen die richtige Entscheidung war, richtig?

Bockholt: (lacht) Ja, stimmt. Bei meinem ersten Training an der Stelzenbrücke hatte ich ein mulmiges Gefühl. Das waren hier, verglichen mit Kickers Offenbach und Rot-Weiss Essen, für die ich vorher in der Bundesliga gespielt hatte, noch längst keine professionellen Verhältnisse. Mein erstes Trainingslager in Leverkusen werde ich nie vergessen. Wir blieben in der Stadt, übernachteten im Ramada-Hotel (heute Leoso-Hotel, Anm. d. Red.) und waren dort mit 15 oder 16 Spielern auf zwei oder drei Zimmer verteilt. Herrlich... Mit Kickers Offenbach war ich immer in den besten Hotels untergebracht. In Doppelzimmern, versteht sich. Es war in vielerlei Hinsicht eine Umstellung, ja.

Bayer 04 war 1975 gerade erst in die 2. Liga aufgestiegen. Warum bist du damals von den Offenbacher Kickers, die Achter in der Bundesliga geworden waren, unters Bayer-Kreuz gewechselt?

Bockholt: Ich hatte tatsächlich mit dem OFC eine starke Saison gespielt. In unserem Kader standen Leute wie Siggi Held, Erwin Kostedde, Josef Hickersberger und Norbert Janzon. Wir waren wirklich großartig besetzt. In unserem ersten Saisonspiel schickten wir den FC Bayern mit 6:0 nach Hause. Die waren immerhin amtierender Deutscher Meister und in deren Startelf standen Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge und Gerd Müller. Weil das Stadion am Bieberer Berg damals umgebaut wurde, spielten wir im Frankfurter Waldstadion vor 35.000 Zuschauern. Später gewannen wir auch gegen den kommenden Meister Borussia Mönchengladbach mit 4:3 und in der Rückrunde nochmal gegen die Bayern mit 3:2. Wir spielten unter unserem damaligen Trainer Otto Rehhagel lange um den Titel mit, rutschten erst in den letzten Partien etwas ab. Trotzdem: Ich war schon 32 und so viel verdiente man als Profi in dieser Zeit noch nicht. Ich brauchte also eine Perspektive. Und die sah ich bei Bayer Leverkusen. Zum einen kannte ich deren Trainer Manfred Rummel aus dem Essener Raum sehr gut, zum anderen bot mir das Bayer-Werk eine berufliche Zukunft nach der Spieler-Karriere.

Vormittags im Werk, nachmittags auf dem Trainingsplatz – so machten das auch viele andere Spieler wie Jürgen Gelsdorf, Dieter Herzog, Klaus Bruckmann und einige mehr. Welchen Job hattest du bei Bayer?

Bockholt: Ich war in der Hausmeisterei beschäftigt, zusammen mit meinem Mannschaftskollegen Willi Rehbach und mit dem Leichtathleten Ulli Haupt, der damals einer der besten 100- und 200-Meter-Läufer in Deutschland war. Wir hatten viel Spaß zusammen. Wirklich harte Arbeit war das natürlich nicht. Und als wir 1979 in die Bundesliga aufstiegen, hörte das ja auch auf und wir konzentrierten uns voll auf den Fußball.

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Du hattest für Rot-Weiß Essen und Offenbach bereits über 150 Bundesligaspiele bestritten, warst beim Aufstieg schon 35 und ein gestandener Fußballer mit großer Ausstrahlung…

Bockholt: (lacht) Na ja, ich war der Älteste im Team, mit Ausnahme von Dieter Herzog waren die anderen 10 bis 15 Jahre jünger als ich. Aber ich habe mich deshalb nicht unbedingt als Führungsspieler gefühlt. Wir waren einfach eine eingeschworene Gemeinschaft und alle sehr bodenständig. Der Großteil der Truppe kam aus dem Ruhrgebiet oder vom Mittelrhein, wir stammten alle aus einem ähnlichen Umfeld. Und Willibert Kremer war ein ausgesprochen guter Trainer, der eine Mannschaft super motivieren konnte. Ich habe in Leverkusen relativ schnell gespürt, dass sich hier etwas entwickelt. In der Saison 1978/79 lief es trotz miserabler Bedingungen in der Vorbereitung von Anfang an wie am Schnürchen für uns. Wir hatten nicht den einen großen Fußballer, wir waren als Kollektiv überragend, in dem jeder seine Stärken und Schwächen hatte. Mit dem Bundesliga-Aufstieg haben wir uns für eine sensationelle Saison belohnt. Und wenn ich mir anschaue, wie es dann im Laufe der weiteren Jahre bis heute für Bayer 04 weiterging, finde ich die Entwicklung fantastisch.

Welchen Stellenwert hat das 3:3 gegen Uerdingen für dich, mit dem ihr den Aufstieg perfekt gemacht habt?

Bockholt: Es war einer von drei, vier wirklich magischen Momenten in meiner Karriere.

Was waren die anderen?

Bockholt: Mein erstes Spiel als Senior für meinen Heimatverein VfB Bottrop in der 2. Liga West vor 15.000 Zuschauern und natürlich mein erstes Bundesligaspiel für Rot-Weiss Essen 1967. Wir spielten 1:1 in der Glückauf-Kampfbahn auf Schalke vor fast 35.000 Zuschauern. Diese ersten Male vergisst man nicht. Die Bundesliga gab es damals ja erst seit vier Jahren. Das Geld, das man hier verdienen konnte, interessierte mich nicht groß. Viel schöner war das Gefühl, dass ich jetzt mit Spielern wie Uwe Seeler und Franz Beckenbauer in einer Liga spielen durfte. Ich habe später in Leverkusen übrigens erst dann wirklich gespürt, dass wir in der Bundesliga spielten, als wir das Derby gegen den 1. FC Köln bestritten. Das Ulrich-Habeland-Stadion war brechend voll, da hatten wir in unserem dritten Heimspiel zum ersten Mal eine richtig tolle Kulisse. Leider gelang den Kölnern kurz vor Schluss noch der 1:1-Ausgleich.

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Als du 1981 deine aktive Laufbahn beendet hast, bliebst du Bayer 04 für zwei weitere Jahre als Trainer erhalten. Aber aus deiner Karriere im Bayer-Werk wurde nichts…

Bockholt: Genau, weil ich noch während meiner Zeit als Fußballer auf dem zweiten Bildungsweg Sport- und Mathematik-Lehrer an der Bergbau-Berufsschule in Duisburg wurde. In meiner letzten Saison hatte ich schon mit dem Unterrichten begonnen, fuhr also morgens in die Schule, anschließend zum Training. Als ich mit dem Fußball aufhörte, fragte man mich in Leverkusen, ob ich nicht Lust hätte, die Amateure zu trainieren. Ich hatte nämlich auch den Fußballlehrer-Schein gemacht. Na ja, und weil sie auch keinen Torwarttrainer für die Profis hatten, machte ich das eben auch noch. Morgens Schule in Duisburg, nachmittags ab 15 Uhr Training mit Rüdiger Vollborn und Co., ab 18 Uhr dann die Amateure. Und ab und an noch Scouting. Das habe ich zwei Jahre lang gemacht. Aber es war natürlich nicht gerade familienfreundlich und wurde mir dann einfach zu viel.

Aber dem Fußball bist du bis heute trotzdem immer verbunden geblieben.

Bockholt: Ja, ich war anschließend neben meiner Lehrertätigkeit noch Trainer bei einigen Klubs im Amateurbereich, aber ich hatte nicht mehr so viel Fahrerei. Heute bin ich für Rot-Weiß Oberhausen immer noch im Scouting tätig. Das betrachte ich aber eher als Hobby. Ganz ohne Fußball geht es einfach nicht.

Du hast die zum Teil wilden Anfangsjahre der Bundesliga inklusive Bundesliga-Skandal zu Beginn der 1970er-Jahre miterlebt. Wärst du heute gerne noch einmal Profi?

Bockholt: (lacht) Ich hätte doch als Torwart mit meinen 1,78 Meter allein von der Größe her keine Chance mehr. Ich war damals schon einer der kleineren, konnte aber durch meine Sprungkraft die fehlenden Zentimeter gut kompensieren. Na klar, die finanzielle Seite ist heute natürlich viel attraktiver. Hätte ich zu meiner Zeit so viel verdient, wie die Spieler heute, hätte ich mit 38 wohl nicht mehr arbeiten gehen müssen. Aber dafür hast du heute ja kaum noch ein Privatleben, musst viel mehr Öffentlichkeitsarbeit machen. Das wäre nichts für mich.   

Bist du noch ab und zu in der BayArena?

Bockholt: Ja, aber selten. In der gerade abgelaufenen Saison war ich zuletzt beim Europa-League-Achtelfinale gegen Ferencvaros Budapest in Leverkusen. Natürlich habe ich Bayer 04 die Daumen gedrückt, weil das immer noch auch mein Verein ist. Schade, dass es später mit dem Finale nicht geklappt hat. Trotzdem: Bayer ist seit Jahren ein europäischer Topklub. Es ist ein schönes Gefühl, dass wir mit der Aufstiegsmannschaft damals den Grundstein für diese Entwicklung gelegt haben.

Zur Person Fred Bockholt:

  • 195 Pflichtspiele für Bayer 04 von 1975 - 1981

  • Weitere Stationen als Torhüter: VfB Bottrop (bis 1966), RW Essen (1966 – 1971), Kickers Offenbach (1971 – 1975)

  • Insgesamt 220 Bundesligaspiele für Essen, Offenbach und Bayer 04

  • Stationen als Trainer: Bayer 04 (Torwarttrainer und Coach der Amateure), RW Oberhausen, MSV Duisburg II, 1. FC Kleve, SW Essen, Preußen Krefeld, FC Remscheid