Dr. Dittmar: Booster-Impfung schließt Grundimmunisierung erst ab

Das zweite Weihnachtsfest unter dem Einfluss der Corona-Pandemie steht bevor. Die Umstände in diesem Jahr sind jedoch andere als im Dezember 2020. Dr. Karl-Heinrich Dittmar, Direktor Medizin und Pandemiebeauftragter bei Bayer 04, spricht im Interview mit bayer04.de über den pandemischen Ist-Zustand. Darüber hinaus erläutert der 58-Jährige die Bedeutung der sogenannten Booster-Impfung, äußert sich zur Omikron-Variante des Coronavirus und gibt einen durchaus hoffnungsvollen Ausblick auf das Jahr 2022.
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Herr Dr. Dittmar, mit Blick auf den Status Quo der Corona-Pandemie: Mit welchen Gefühlen gehen Sie in das diesjährige Weihnachtsfest?

Dr. Dittmar: Ich persönlich mit einem sehr guten Gefühl, denn sowohl meine Familie als auch ich sind dreimal geimpft beziehungsweise genesen und geboostert.

Wie können wir alle für ein Weihnachtsfest im Kreise unserer Familie sorgen, das so sicher wie möglich ist?

Dr. Dittmar: Der ganz entscheidende Punkt ist, ob man die sogenannte Booster-Impfung erhalten hat oder nicht. Denn nur mit dieser dritten Impfung ist die Grundimmunisierung abgeschlossen. Hat man diese erhalten, ist eine Zusammenkunft an Weihnachten ohne große Bedenken möglich. Natürlich ist die Lage noch mal etwas anders zu bewerten, wenn sich im Kreise der Familie Menschen aus der vulnerablen Gruppe befinden. Und fühlt man sich auch nur leicht krank, sollte man selbstverständlich auch an Weihnachten auf eine Zusammenkunft verzichten, um die Menschen mit einem schwächeren Immunsystem zu schützen.

Welche Schritte hat Bayer 04 in den vergangenen Wochen und Monaten unternommen, um der Ausbreitung des Virus entgegenzuwirken und das Infektionsrisiko innerhalb des Unternehmens so gering wie möglich zu halten?

Dr. Dittmar: Wir haben bereits Anfang Januar 2020, als die ersten Meldungen aus China zu dem Coronavirus aufkamen, und damit mit dem Ausbruch der Pandemie, einen Arbeitskreis „Gesundheit“ eingeführt. Diesem gehörten Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen an. Zudem haben wir sehr früh umfangreiche Hygiene- und Abstandsregeln umgesetzt und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes verpflichtend eingeführt. Wichtig war uns auch, die Mitarbeiter stets aktuell zu informieren und ihnen dabei zu helfen, ihren Arbeitstag und ihre häusliche Situation so sicher wie möglich zu gestalten. Sei es mit Antigentests für die Familie zum Weihnachtsfest 2020, oder einer frühzeitigen Impfkampagne, die nicht zuletzt auf einer umfangreichen Information und Aufklärung basierte. Diese Maßnahmen scheinen erfolgreich gewesen zu sein, denn uns ist bis heute kein Infektionsnest hier bei Bayer 04 bekannt.

Die Lizenzmannschaft sowie sämtliche Mitglieder des Trainerstabs und Staffs verfügen über den 2G-Status. Sie alle sind demnach vollständig geimpft und geboostert, bei den genesenen Spielern und Staff-Mitgliedern wird die Boosterimpfung zudem in Kürze folgen. Wie haben Sie diese einhundertprozentige Quote erreichen können?

Dr. Dittmar: Wir haben niemanden zu einer Impfung gezwungen, sondern vielmehr die Gespräche gesucht und mithilfe von schlüssigen Argumenten scheinbar eine gute Überzeugungsarbeit geleistet. Ich muss aber auch sagen, dass wir in diesem Kreis ohnehin auf dankbare Zuhörer gestoßen sind.

Wie sieht es mit dem Corona-Status innerhalb der Belegschaft von Bayer 04 aus?

Dr. Dittmar: Wir haben im Zuge unserer Impfkampagne innerhalb des Unternehmens natürlich auch allen weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Erst-, Zweit- und Drittimpfung angeboten. Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mindestens doppelt geimpft. Anfang Dezember haben sich zudem über 170 von ihnen in der BayArena boostern lassen, viele weitere hatten sich bereits zuvor ihre dritte Impfung abgeholt.

Werfen wir einen Blick auf die aktuellen Zahlen in Deutschland, das sich gerade inmitten der vierten Welle der Corona-Pandemie befindet. Die Kurve der Sieben-Tage-Inzidenz zeigte in den vergangenen Tagen wieder nach unten. Nur eine Momentaufnahme oder ein Trend, der nachhaltig erscheint?

Dr. Dittmar: Grundsätzlich verliefen Pandemien oft in vier Wellen, wobei die vierte meist die stärkste war. Der Verlauf der bisherigen Corona-Pandemie ist daher nicht ungewöhnlich. Wir sind am Ende der Pandemie und Übergang zur Endemie angelangt. Das heißt, dass sich das Virus weiter in unserer Umgebung befindet, dabei aber mittelfristig keine große Notlage mehr auslöst. Die Menschen haben dann eine Immunität gegen das Virus aufgebaut – sei es durch eine vollständige Impfung oder eine Infektion. Es ist davon auszugehen, dass nahezu alle Ungeimpften innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre erkranken werden. Corona wird sich mittelfristig zu einer Erkrankung der Ungeimpften und Kinder entwickeln. Für die Geimpften hingegen wird eine mögliche Infektion nur noch einer gewöhnlichen Grippe ähneln. Gefährdet bleiben natürlich, wie bei allen anderen Viruserkrankungen, Menschen mit einem gestörten Immunsystem, sei es durch Erkrankungen, Lebensalter oder sonstige Faktoren.

Welche Rolle spielt die sogenannte Booster-Impfung in der Bekämpfung des Coronavirus und damit der Beendigung der Pandemie, nach der wir alle uns sehnen?

Dr. Dittmar: Eine ganz entscheidende. Diese dritte Impfung, die als Booster- oder Auffrischungsimpfung bezeichnet wird, sorgt überhaupt erst für den vollständigen Impfschutz. Sie ist Teil der Grundimmunisierung und die  damit für eine nachhaltige Immunität wichtigste aller Impfungen. Sie hat die Chance, nachhaltig zu sein. Anfängliche Hoffnungen, dass eventuell zwei Impfungen für die Grundimmunisierung ausreichen könnten, haben sich leider nicht bestätigt. Das ist bei einem Blick auf andere Pandemien und deren Bekämpfung aber auch nichts Ungewöhnliches.

Ist nun jedes Jahr eine Auffrischungsimpfung notwendig?

Dr. Dittmar: Es kann sein, dass durch mögliche neue Varianten weitere Impfungen notwendig sein werden. Das muss aber nicht der Fall sein. Ich habe die berechtigte Hoffnung, dass die dritte Impfung nun erst einmal nachhaltig sein wird und zumindest vor schweren Verläufen schützen kann.

Seit dem 13. Dezember ist eine Impfung von Kindern ab fünf Jahren möglich. Die STIKO hat noch keine allgemeine Impfempfehlung für diese Altersgruppe abgegeben, rät aber zu einer Impfung, wenn die Kinder Vorerkrankungen haben oder Kontakt zu Mitgliedern der vulnerablen Gruppe. Ab welchem Alter würden Sie zu einer Impfung raten?

Dr. Dittmar: Ich würde ab einem Alter von fünf Jahren beginnen, darunter liegen nicht ausreichend Daten vor. Letztlich sollte man dem Arzt die Frage stellen, wie er bei seinen eigenen Kindern entscheiden würde, wenn man die Stühle tauschen würde. Meine eindeutige Antwort ist: Ja. Ich habe keinerlei Bedenken. Der Impfstoff ist auch bei Kindern millionenfach erprobt. Ich würde mir daher wünschen, dass sich alle Eltern für eine Impfung ihrer Kinder ab fünf Jahren entscheiden.

Was sagen Sie Impfverweigerern, die eine Impfung aufgrund möglicher Langzeitfolgen ablehnen?

Dr. Dittmar: Eines muss klargestellt werden: Wir haben nicht die Entscheidung zwischen einer Impfung oder keiner Impfung, sondern zwischen einer Impfung und einer Erkrankung. Beim Thema Langzeitfolgen liegt schlichtweg ein großes Missverständnis vor. Der Corona-Impfstoff ist nicht weniger erprobt als andere, auch die Zulassungsstudien waren nicht weniger aufwendig. Die Genehmigung der Impfstoffe ging einfach schneller vonstatten, da die bürokratischen Verfahren erheblich beschleunigt worden sind. Da reden wir von wenigen Tagen statt Monaten oder Jahren. Die Impfung wurde inzwischen milliardenfach verabreicht, alle möglichen Folgen sind bekannt. Man kann sicher sein, dass keine Schäden in zehn Jahren auftreten werden, von denen man jetzt nicht weiß.

In den vergangenen Tagen und Wochen war die Omikron-Variante des Coronavirus medial ein großes Thema. Was ist über diese Variante bekannt und welche Rolle spielt sie in der Pandemie?

Dr. Dittmar: Diese Variante verfügt über zwei Besonderheiten: Sie hat viele Mutationen und ist hochgradig ansteckend. Letzteres könnte bei der Beendigung der Pandemie aber auch von Nutzen sein. Erste Hinweise aus Südafrika weisen darauf hin, dass die Omikron-Variante eher im Bereich der oberen Atemwege zu sitzen scheint. Die bisherigen Varianten saßen eher im Rachen und in der Nase anstatt – wie die meisten ursprünglichen Varianten – tiefer in der Lunge, was sie gefährlicher machte.  Ein Virus, das in Nase und Rachen sitzt, kann den nächsten Wirt leichter infizieren, da der Weg kürzer wird. Die Infektion ist somit ansteckender, löst aber eher einen Schnupfen und eine Halsentzündung statt Lungenschäden aus. Solch eine Variante kann also zu einer starken Infektiosität und resultierenden breiten Immunität führen und damit auch zu einem möglichen Exit aus der Pandemie.

Welche Hoffnungen und positiven Gedanken können Sie den Menschen für das neue Jahr abschließend mit auf den Weg geben?

Dr. Dittmar: Ich hoffe, wie gesagt, dass die aktuelle vierte Welle die Schlimmste sein wird und danach nur noch Kleinere folgen. Die Bedeutung der Pandemie wird hoffentlich im Laufe des Jahres 2022 abnehmen. Der entscheidende Schritt dafür und zurück in ein normaleres Leben ist und bleibt aber die Impfung. Ein Großteil der Intensivbetten ist von schwer an COVID erkrankten und ungeimpften Patienten belegt. Sie blockieren auch für andere Patienten mit anderen schweren Verletzungen und Erkrankungen diese Plätze. Jeder Einzelne ist, neben einer Verantwortung für sich selbst, in einer gesellschaftlichen Verantwortung. Daher ist meine Bitte an alle die einzig Logische: Lassen Sie sich impfen, lassen Sie sich boostern!

Über Dr. Karl-Heinrich Dittmar:

Dr. Dittmar ist Facharzt für Innere Medizin und arbeitet seit 2002 für Bayer 04 und verantwortet seit vielen Jahren die medizinische Abteilung. Dazu zählen die Disziplinen Orthopädie, Innere Medizin, Sportwissenschaft, Athletik, Rehatherapie/Bayer 04-Werkstatt, Sportpsychologie und Physiotherapie. Dr. Dittmar war während der Modernisierung der BayArena 2009 maßgeblich in die Planung und Ausstattung des medizinischen Bereichs eingebunden. Die seither im Stadion integrierte „Werkstatt“ mit ihrem Hightech-Gerätepark, Hypoxie- und Kältekammer oder Anti-Schwerkraft-Laufband hat Maßstäbe im Bereich der sportmedizinischen Betreuung von Leistungssportlern gesetzt. Seit Juli 2019 ist Dr. Dittmar Direktor Medizin bei Bayer 04 und hat seit vielen Jahren auch die Position des Pandemiebeauftragten der Bayer 04 Leverkusen Fußball GmbH inne.

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