Der Kult-Trai­ner und „Phi­lo­soph“ wird 75

Happy Bir­th­day, Stepi!

Er war in den 1990er Jahren eine der schillerndsten Figuren in der Bundesliga und machte sich als eigenwilliger Trainer mit Entertainer-Qualitäten zur Marke. Mit Bayer 04 gewann Dragoslav Stepanovic 1993 zwar seinen einzigen Titel als Coach. Dennoch zählt der charismatische Serbe zu den großen Trainer-Persönlichkeiten im deutschen Fußball. Heute wird er 75 Jahre alt. Alles Gute zum Geburtstag, Stepi! Ein Porträt zu seinem Ehrentag…

An was er denken würde, wenn er den Namen Dragoslav Stepanovic hört, wurde Günter Netzer mal in einem Interview gefragt. „An einen Schrotmeißel“, antwortete Netzer trocken. Der Welt- und Europameister charakterisierte damit den ehemaligen Spieler Stepanovic, der sich in den 1970er-Jahren den Ruf eines „Eisenfußes“ erarbeitet hatte. Dass Stepi damals nicht nur ein knüppelharter, sondern auch weltweit einer der besten rechten Außenverteidiger war, wissen heute nicht mehr viele. Die meisten verbinden mit ihm den Trainer mit dem markanten Schnurrbart, der Zigarillo rauchend im eleganten Zweireiher mit Krawatte und Nadel sowie polierten Budapestern am Spielfeldrand stand. Ein Weltmann und bunter Hund mit clownesken Zügen, immer gut für einen lockeren Spruch. Stepi, das Unikat, das den serbisch-hessischen Dialekt erfand und mit drei Worten zur Kultfigur wurde: „Lebbe geht weider“.

Mit den Balkan-Brasilianern gegen Pelé

Dabei hat schon sein Leben als Fußballprofi schillernde Momente. 1971 tritt er als 22-Jähriger mit der Nationalmannschaft Jugoslawiens vor 182.000 Zuschauern im Maracana an, dem Fußball-Tempel in Rio de Janeiro. Der große Pelé hatte sich zu seinem Abschiedsspiel für die Selecao Jugoslawien als Gegner gewünscht. Die Fußballer aus dem Vielvölkerstaat galten wegen ihrer technischen und taktischen Klasse als „Balkan-Brasilianer“. In Jugoslawien spielte man schon Raumdeckung, als deutsche Verteidiger ihre Gegner noch bis auf die Toilette verfolgen sollten. Stepi bestritt 34 Länderspiele für sein Land. Aber diese Partie im Maracana ist für ihn der Höhepunkt seiner Karriere als Fußballer. Mehr als 30 Jahre später traf Stepanovic Pelé noch einmal in Deutschland im Rahmen des Confed-Cups 2005. Wann er denn das 1971 versprochene Video vom Abschiedsspiel bekommen würde, fragte er Pelé. Der sagte eine schnelle Lieferung zu. Aber ein Päckchen aus Brasilien kam nie.

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Stepanovic Zeit in Deutschland begann 1976. Als 28-Jähriger wechselte er von Roter Stern Belgrad zu Eintracht Frankfurt und lehrte hier im Training Weltmeistern wie Jürgen Grabowski und Bernd Hölzenbein das Fürchten. Stepi langte nach alter Belgrader Sitte ordentlich hin. Selbst ein Haudegen wie Eintrachts Rekordspieler Charly Körbel erinnert sich, wenn er an die ersten Monate des jugoslawischen Neuzugangs denkt, an „blaue Flecken und jede Menge Schmerzen“. Auch später wurde Stepanovic seinem Ruf gerecht. 1978 traf er, inzwischen bei Wormatia Worms, in einem Spiel der zweiten Liga auf Rudi Völler und seine Kickers aus Offenbach. Völler hatte den klar überlegenen OFC in Führung gebracht. Stepanovic wollte ein Zeichen setzen, ging mit beiden Beinen voraus in seinen Gegenspieler Hermann Bitz und sah dafür die Rote Karte. Aber das Opfer hatte sich gelohnt: Worms drehte die Partie in Unterzahl und gewann noch 3:2.

Ein Jahr später erhielt Stepanovic in der kurpfälzischen Provinz ein Angebot von Manchester City. Bei den Citizens, die damals in der First Division noch klar im Schatten des FC Liverpool stehen, durfte der Serbe zeitweise als erster Ausländer die Kapitänsbinde tragen.

Der „Zampano vom Main“

Als Stepanovic 1982 schließlich seine aktive Karriere bei Wormatia Worms beendet, ist er fast 34. Er macht den Fußballlehrer-Schein an der Trainerakademie Köln. In seinem Lehrgang ist unter anderem ein ehemaliger Stürmer des 1. FC Kaiserslautern: Klaus Toppmöller. Beide würden sie später einmal in Leverkusen Erfolge feiern.

Erste Schritte als Coach macht Stepanovic aber in seiner neuen Heimat Frankfurt. Erst beim FSV, dann bei Rot-Weiss Frankfurt, wo er in der Saison 1989/90 in der Hessenliga auch Jürgen Klopp trainiert. „Es war ein außergewöhnliches und ereignisreiches Jahr, das mich mit Stepi verbindet“, erzählt Klopp in der Stepanovic-Biographie der Autoren Peter Moschinski und Martin Thein. „Er war der witzigste Trainer, den ich je hatte.“

Bundesweit bekannt wird Stepanovic 1991. Als Eintracht Frankfurt ihn verpflichtet, titelt die Bild-Zeitung: „Sensation – Eintracht holt Trainer aus der Kneipe!“ Dem Serben gehört zwar tatsächlich das Pub „Stepis Treff“ in einem Einkaufszentrum. Aber Geschäftsführerin ist seine Frau Jelena. Mit der Eintracht sorgt Stepanovic für Furore, lässt mit Profis wie Uwe Bein, Andreas Möller und Anthony Yeboah den vielleicht attraktivsten Fußball in Deutschland spielen. Der „Zampano vom Main“ führt Frankfurt fast zur deutschen Meisterschaft. Aber eben nur fast. Am letzten Spieltag der Saison 1991/92 verspielen die Adlerträger durch ein 1:2 bei Hansa Rostock den sicher geglaubten Titel. Ein Punkt hätte gereicht. So aber wird der VfB Stuttgart Meister. Wie er sich jetzt fühle, wird Stepi nach dem Schlusspfiff in Rostock gefragt. Und der Serbe antwortet: „Lebbe geht weider.“ Worte für die Ewigkeit. „Noch heute kommen Leute auf mich zu, die sagen: Wir wissen nicht, wie Sie heißen, aber Sie sind der, der gesagt hat: ‚Lebbe geht weider‘“, erzählte Stepanovic einst dem „Kicker“. Der Spruch ist längst zu seinem Markenzeichen geworden. Hessens ehemaliger Ministerpräsident Volker Bouffier scherzte einmal: „Aus meiner Sicht gibt es zwei große Philosophen aus Frankfurt: Der eine war Goethe, der andere Stepi.“

crop_Calmund_1999.jpgBei allen Ecken und Kanten hat Stepi ein riesengroßes, weiches HerzReiner Calmund

Stepi sorgt für Zirkusluft in Leverkusen

In der Saison darauf läuft es für ihn und die Eintracht nicht mehr so gut. Im DFB-Pokal-Halbfinale verliert Frankfurt zu Hause gegen Bayer 04 mit 0:3. „Das war’s“, erklärt Stepi vor laufenden Kameras seinen sofortigen Rücktritt als Trainer der Hessen. Für die folgende Spielzeit hatte er bereits einen Vertrag in Leverkusen unterschrieben. Aber Bayer 04-Manager Reiner Calmund will ihn nun sofort unters Kreuz holen. So steht Stepi als Nachfolger von Reinhard Saftig beim Pokalfinale gegen die Amateure von Hertha BSC an der Seitenlinie, obwohl er eigentlich in dieser Saison gegen Bayer 04 bereits ausgeschieden war. Eine kuriose Situation. Bei der Siegerehrung fasst der Serbe den Pott nicht einmal an.

Der Titel im DFB-Pokal 1993 bleibt für Stepanovic der einzige in seiner Trainerkarriere. Bei Bayer 04 soll er für ein bisschen Zirkusluft sorgen und den Klub vom Graue-Maus-Image befreien. Und natürlich erfolgreichen Fußball spielen lassen. Zuckerbrot und Peitsche: Stepi hat Humor und Charisma, kommt locker rüber und ist immer für einen Spaß zu haben. Aber er kann auch anders. Er greift gerne zu unkonventionellen Trainingsmethoden, sitzt manchmal mit Megafon in der Hand auf einem zwei Meter hohen Schiedsrichterstuhl am Spielfeldrand und gibt Anweisungen in Feldwebel-Manier. Scheut sich nicht vor Konflikten mit Weltstars wie Bernd Schuster und Rudi Völler. Und kann nicht nur ein bunter, sondern auch ein ziemlich sturer Hund sein. „Für das diplomatische Corps ist Stepi nicht geeignet“, brachte es Reiner Calmund auf den Punkt, „aber bei allen Ecken und Kanten hat er ein riesengroßes, weiches Herz.“ Sportlich kann sich seine Bilanz in seiner ersten Leverkusener Saison sehen lassen. Erstmals überwintert die Werkself nach 20 Spieltagen – wegen der anstehenden WM in den USA sind noch drei Rückrunden-Spieltage vorgezogen worden – als Spitzenreiter. Vor allem Bernd Schuster, Ulf Kirsten und Paulo Sergio, der in seiner ersten Saison unterm Bayer-Kreuz gleich 17 Tore schießt, prägen das Offensivspiel. Das neue Jahr 1994 fängt dann weniger gut an. Von den ersten fünf Spielen verliert Bayer die ersten vier und rutscht auf Platz 7 ab. Aber die Mannschaft fängt sich wieder, rückt vier Spieltage vor Schluss auf Platz drei vor und hat nur vier Punkte Rückstand auf Tabellenführer Bayern München. Am Ende bleibt es jedoch bei Rang drei, der bis dahin besten Platzierung der Klubgeschichte.

In der folgenden Saison 1994/95 gibt Rudi Völler am 3. Spieltag sein Debüt für Bayer 04. Stepanovic, der einst noch selbst gegen ihn gespielt hatte, wechselt den Neuzugang von Olympique Marseille in der 73. Minute im Spiel gegen seinen Ex-Klub Eintracht Frankfurt ein. Es steht schon 3:0, Völler gelingt in der letzten Minute per Kopf noch das 4:0 – ein Einstand nach Maß. Bernd Schuster hatte im selben Spiel mit einem Heber aus fast 50 Metern über Eintracht-Keeper Andreas Köpke hinweg den ersten Treffer erzielt, der später zum „Tor des Jahrzehnts“ gewählt werden sollte. Der Offensivfußball, den Stepanovic auch in Leverkusen spielen ließ, begeistert. Ein besonderes Spektakel erleben die Zuschauer im Ulrich-Haberland-Stadion beim 5:4 gegen den PSV Eindhoven in der ersten Runde des UEFA-Cups. Ulf Kirsten und der Brasilianer Ronaldo als kommender Weltstar erzielen je drei Tore in dieser packenden Partie.

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Dragoslav Stepanovic (r.) mit seinem früheren Spieler Rudi Völler im Sommer 2022.

Aber auch in dieser Saison gibt es einen harten Bruch nach der Winterpause. Als Bayer 04 Anfang 1995 sechs von sieben Partien verliert, auf Platz 11 abrutscht und auch im Hinspiel des UEFA-Cup-Halbfinales gegen den AC Parma 1:2 unterliegt, trennt sich der Klub von Stepanovic. Nach knapp zwei Jahren ist seine Zeit in Leverkusen vorbei.

Anschließend führt ihn sein Weg zu einer Vielzahl weiterer Vereine. In Deutschland trainiert er nochmals kurz Eintracht Frankfurt, später den VfB Leipzig, die Stuttgarter Kickers, Rot-Weiß Oberhausen und Kickers Offenbach. Er arbeitet für die europäischen Traditionsklubs Athletic Bilbao und AEK Athen, lässt sich aber auch auf Abenteuer in Ägypten (bei Zamalek Kairo) und China (bei Shenyang Jinde) ein, die jeweils nur wenige Monate dauern. Auch in seinem Heimatland wird Stepi noch bei Klubs wie FK Vojvodina Novi Sad tätig. Er hat viel erlebt und gesehen in seiner langen Spieler- und Trainerkarriere. Als er 2013 mit seiner Biografie auf Lesereise geht, macht er auch in Leverkusen Station. Das Stadioneck an der Bismarckstraße ist ausverkauft bei seinem Besuch. Fast 20 Jahre nach seiner Zeit unterm Kreuz ist Stepi in der Bayer-Fanszene immer noch beliebt.

Immer noch unterwegs als ehrenamtlicher Coach

Ganz vom Fußball kommt er auch heute noch nicht los. Wenn sich seine Leidenschaft mit sozialem Engagement verbinden lässt, kehrt er gerne ehrenamtlich auf die Trainerbank zurück. Etwa als Coach einer Hessenauswahl für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung. Oder wie zuletzt Ende Juni dieses Jahres als Trainer der deutschen Nationalmannschaft der Geflüchteten. Bei der zweiten Auflage der von der UEFA und dem UN-Flüchtlingswerk veranstalteten Europameisterschaft in Frankfurt stand natürlich nicht der sportliche Erfolg im Vordergrund. Der fiel aus deutscher Sicht ohnehin eher bescheiden aus. Die DFB-Auswahl verlor alle drei Gruppenspiele gegen Frankreich, Lettland und Finnland. Nur das Platzierungsspiel gegen Österreich konnte das Team gewinnen. Stepi nahm’s mit Humor: „Jetzt werden sie mich feuern“, flachste der Weltenbummler in Sachen Fußball und ließ gleich sein berühmtes Bonmot folgen: „Aber Lebbe geht weider“.

Werkself-TV: „Meine Traum11“ mit Dragoslav Stepanovic