Cem Türk­men: Auch das Derby ging an Bayer 04

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Vor wenigen Wochen gab Peter Bosz drei Nachwuchs-Spielern eine Chance und ermöglichte den Eigengewächsen Emrehan Gedikli, Cem Türkmen und Samed Onur aus der U19 das Profi-Debüt. Beim zweiten im Bunde wäre es fast nicht dazu gekommen, wenn vor 13 Jahren nicht das Schicksal auch ein wenig mitgespielt hätte...

Er hat Bayer 04 schon fast in seiner DNA – Cem Türkmen spielt mittlerweile seine 13. Saison unterm Bayer-Kreuz. Ein waschechtes Eigengewächs. Am 3. Dezember 2020 ist für den 18-Jährigen dann auch der große Kindheitstraum in Erfüllung gegangen. Beim 3:2-Auswärtssieg der Werkself in der Europa League gegen die OGC Nizza wurde der Youngster von Cheftrainer Peter Bosz in der 68. Minute eingewechselt – das Profi-Debüt des gebürtigen Kölners!

Auf einmal auf der Kaderliste

Davon erfahren, dass er die Reise an die Côte d’Azur mit der Werkself antreten würde, hat der 18-Jährige quasi ganz beiläufig. Türkmen schaute auf das Schwarze Brett in der Profi-Kabine und ließ seinen Blick über die Liste mit dem Kader für das Nizza-Spiel schweifen. Ganz am Ende stand auf einmal „39 Türkmen“. Da musste der Mittelfeld-Akteur schon zweimal hinschauen.

„Ich habe mich tierisch gefreut, als ich meinen Namen gelesen habe. Mir war es in dem Moment eigentlich egal, ob ich spiele oder nicht. Ich habe mich einfach riesig gefreut, dabei sein zu dürfen und wollte es einfach genießen. Ich dachte, falls ich überhaupt spielen sollte, dann allerhöchstens für ein paar Minuten“, blickt er zurück. Schließlich waren es sogar 22 in einem recht wichtigen Spiel.

Die Flut an Glückwünschen ließ nicht lange auf sich warten. „Viele haben mich gefragt, wie es war. Ich konnte es eigentlich gar nicht richtig sagen, weil es sich so unbeschreiblich anfühlte. Es ist definitiv ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen. Ich spiele, seit ich sechs Jahre alt bin, für diesen Verein und habe immer gehofft, dass das irgendwann passiert.“

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Für den Youngster läuft es allgemein in diesem Jahr so richtig gut. Während die Junioren-Ligen aufgrund der Coronavirus-Pandemie im Frühjahr pausieren mussten, durfte Türkmen bei den Profis mittrainieren. Peter Bosz hatte seit März seine Trainingsgruppe um ein paar U19-Spieler verstärkt – darunter auch um Türkmen. Und auch zu Beginn der Saison 2020/21 waren die Nachwuchstalente weiterhin regelmäßig Teil der Mannschaft – so stiegen die Chancen auf einen Einsatz.

Motivierende Worte von Peter Bosz

In Nizza war es dann so weit: In der 65. Minute drehte sich Peter Bosz zu Cem Türkmen und U19-Kollege Emrehan Gedikli um und sagte: „Jungs, ihr kommt gleich rein!“ Der Auserwählte erinnert sich: „In dem Moment war ich nicht unbedingt nervös, sondern eher voller Vorfreude. Ich wollte einfach zeigen, was ich kann.“ Der Cheftrainer gab Türkmen vor der Einwechslung noch ein paar motivierende Worte mit auf den Weg. „Er hat gesagt, ich soll einfach so spielen, wie ich es im Training immer mache. Ganz entspannt Fußball spielen.“ Und mit dem Schritt auf den Rasen war die Konzentration voll da, dann zählt nur noch das Fußballspiel.

In der darauffolgenden Woche wurde Türkmen in der Europa League gegen Slavia Prag erneut eingewechselt und bekam 16 weitere Spielminuten bei den Profis und seinen zweiten Einsatz. Auch bei den Bundesliga-Spielen gegen den FC Schalke 04, die TSG 1899 Hoffenheim und den FC Bayern München gehörte er wieder zum Aufgebot, blieb aber ohne Einsatz im Kader.

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Cem Türkmen (r.) mit Emrehan Gedikli nach seinem Profi-Debüt in Nizza

Erste Profi-Luft mit 16 Jahren geschnuppert

Eine steile Entwicklung für den U19-Spieler, dessen Liga aufgrund der Pandemie zum zweiten Mal in diesem Jahr unterbrochen worden ist. Bereits im Lockdown im Frühling hatte die A-Junioren-Bundesliga West ausgesetzt – und auch der Trainingsbetrieb der Junioren-Mannschaften von Bayer 04. Seitdem war Türkmen einer der wenigen Nachwuchs-Spieler, die regelmäßig am Training der Profis teilnehmen durften. „Das stellte sich anfangs etwas schwieriger dar, sich in die Mannschaft einzufinden. Da habe ich schon gemerkt, dass es an der einen oder anderen Stelle an Schnelligkeit oder Körperlichkeit noch ein wenig fehlt. Mittlerweile klappt’s aber ganz gut“, lacht er.

Erste Profi-Luft hatte er schon mit 16 geschnuppert – vereinzelt in Trainingseinheiten, Testspielen und auch am Sommer-Trainingslager der Profis 2019 im Salzburger Land teilgenommen. Der Schritt vom Jugend- in den Profi-Bereich sei allerdings ein großer, muss Türkmen zugeben. „Man braucht schon ein gewisses Talent. Aber das allein reicht nicht. Man muss willensstark und aufnahmefähig sein, mit Kritik gut umgehen können. Man denkt immer, wenn man es bis in die U19 geschafft hat, ist man ganz gut. Wenn man aber in den Profi-Bereich einsteigt, merkst du: Du bist nicht so gut wie du dachtest“, schmunzelt er.

Ein Beispiel: „Ich dachte, meine Ausdauer sei ganz gut – für den U19-Jahrgang ist sie das vielleicht auch – aber für die Profis hat es anfangs nicht gereicht. Das ist ein Aspekt, an dem ich arbeiten musste und weiterhin werde.“ Cem Türkmen ist niemand, der sich auf seinen Lorbeeren ausruht. Er ist immer hungrig, will immer mehr, wie er sagt. „Am Ball bin ich schon relativ sicher, ich habe eine gute Technik und kann die Bälle gut verteidigen. Ich bin allerdings ein bisschen ballverliebt, könnte man sagen. Es gibt noch einiges, an dem ich arbeiten kann“, grinst er.

Dem hartnäckigen Jugend-Trainer sei Dank

Dass da ein gewisses fußballerisches Talent bei Cem Türkmen vorhanden ist, konnte auch schon sein damaliger Trainer seines ersten Vereis S.u.S. Nippes ‘12 aus dem Kölner Norden erkennen, der vor knapp 13 Jahren alles daransetzte, Cem bei einem Hallenturnier dabei zu haben. „Ich sollte eigentlich gar nicht teilnehmen. Meine Mutter und mein Vater hatten beide keine Zeit, mich dort hinzufahren und hatten dem Trainer schon abgesagt. Ich hätte schon gerne mitgespielt, es war eines der größeren Turniere zu der damaligen Zeit“, erinnert sich der heute 18-Jährige. Doch sein Coach ließ nicht locker und bot den Eltern Türkmen sogar an, ihren Sohn abzuholen und wieder nach Hause zu bringen. „Meine Mutter war erst nicht überzeugt, ich habe ein bisschen gebettelt, das hat dann geholfen“, erinnert sich der gebürtige Kölner. Wie richtungsweisend diese Turnier-Teilnahme sein sollte, hat damals keiner geahnt.

Cems Mutter jedenfalls hatte es schließlich doch noch geschafft, ihren Sohn zumindest an der Turnhalle abzuholen und wurde nach Turnier-Ende von zwei Personen auf ihren Sohn angesprochen. Scouts, wie sich schnell herausstellte. Bayer 04 und der Rheinrivale 1. FC Köln waren an Cem interessiert und luden ihn zum Probetraining ein. „Ich wollte zunächst, ehrlich gesagt, zu keinem der beiden Vereine. Nicht, weil ich die Klubs nicht mochte, sondern weil ich einfach bei meiner Mannschaft bleiben wollte. Meine Freunde waren da, ich habe mich wohlgefühlt...“

Die Eltern überließen letztlich ihm die Entscheidung, und Cem wollte es schließlich doch ausprobieren. Das war schließlich eine Riesenchance. Am Tag des Probetrainings kam dann aber Verunsicherung. „Da waren gefühlt hundert Kinder. Meine Mutter meinte noch zu meinem Vater: ‚Was machen wir hier?! Das sind doch viel zu viele...‘ Und auch ich habe nicht wirklich daran geglaubt, dass die mich nehmen.“ Aber das taten sie. Sogar beide Klubs hätten ihn gewollt, Cem entschied sich für Schwarz-Rot.

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„Ich würde Deutschland wählen“

Sein Talent durfte Türkmen, der im vergangenen Schuljahr sein Fachabitur abgelegt hat und überlegt, BWL oder International Management zu studieren, auch schon international unter Beweis stellen. Aufgrund seiner doppelten Staatsbürgerschaft – der deutschen und der türkischen – klopften schon beide Verbände bei Familie Türkmen an. Und Cem nutzte auch beide Gelegenheiten, kam so auf ein Spiel für die türkische U17 im Februar 2019 gegen Kroatien und auf mehrere Lehrgänge mit den deutschen U-Mannschaften. Doch irgendwann könnte eine Entscheidung für ein Land anstehen. „Die Türkei ist ein schönes Land und hat auch super Bedingungen für die Nachwuchsförderung geschaffen, aber wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich dann doch Deutschland wählen. Das Gesamtpaket beim DFB hat mich mehr überzeugt.“

Wie es für Türkmen, der Andrés Iniesta im Barcelona-Trikot bewundert hat, nach der U19 weitergeht, steht aktuell in den Sternen. Der erste Traum vom Profi-Debüt ist jedenfalls erfüllt. „Ich hoffe sehr, dass es für mich weitergeht. Dass ich es regelmäßig in den Kader schaffe, noch mehr Spiele absolviere, wir die  gewinnen und ich dauerhaft oben mit dabei bin. Das war schon immer mein großes Ziel.“