Hand­ar­beit im High­tech-Park

#Bayer04Experts: Cars­ten Rade­ma­cher und die „Werk­statt“

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Die „Werkstatt“ ist das Reich von Carsten Rademacher. Im Reha- und Trainingscenter von Bayer 04 werden die verletzten Profis der Werkself von ihm und sechs weiteren Fachkräften auf dem Weg zu ihren Comebacks begleitet. Dort arbeitet aktuell auch Florian Wirtz daran, wieder auf das Spielfeld zurückzukehren, nachdem er im März einen Kreuzbandriss erlitten hat. Das Werkself Magazin beleuchtet, wie Rademacher, Leiter der Reha-Therapie, mit seinem Team daran arbeitet, verletzte Spielerinnen und Spieler wieder zu früherer Leistungsfähigkeit zurückzuführen.

Wer aus dem Aufzug tritt und im dritten Stock der BayArena einige Schritte nach links macht, steht in einem großen, hellen Raum mit einem Arsenal an High-Tech-Fitness-Geräten. Durch die riesigen Fenster hat man einen weiten Blick über den Rhein bis nach Köln hinüber, nach unten schaut man direkt auf den Trainingsplatz der Werkself. „Die Verletzten, die bei uns sind, haben so immer ihr Ziel vor Augen. Sie sehen fast jeden Tag ihre Mitspieler unten trainieren. Da wollen sie unbedingt auch wieder hin“, sagt Carsten Rademacher, Leiter der Reha-Therapie, und formuliert auch gleich das Ziel der seit 13 Jahren sehr erfolgreichen Einrichtung „Werkstatt“: „Unsere Aufgabe ist es, die körperliche Leistungsfähigkeit der verletzten Spieler möglichst schnell wiederherzustellen. Mindestens genauso wichtig ist aber auch die präventive Arbeit, damit Verletzungen gar nicht erst entstehen.“ Florian Wirtz steht an diesem Tag pünktlich um 9 Uhr auf der Matte, noch immer mit Schienen zur Stabilisierung am verletzten linken Bein, die er für das Reha-Training ablegt. Um 14 Uhr, seine Kollegen unten haben ihren normalen Trainingstag bereits beendet, hat der 19-Jährige seinen täglichen Fitness-Kampf erledigt, „nach einem sehr straffen, genau geplanten Programm“, wie Rademacher betont.

Insgesamt 16 Spieler und Spielerinnen – darunter Amine Adli sowie drei weitere verletzte Mitglieder des Lizenzspielerkaders, aber auch Akteure der U19 und der U17 sowie Mitglieder des Frauen-Bundesliga-Teams – sind an diesem Tag Anfang Mai zur Behandlung und zum Reha-Training erschienen. Sabine Christmann-Schaaf, die die Termine koordiniert und zugleich als ausgebildete Arzthelferin für die Labor-Tätigkeiten zuständig ist, nimmt sie in Empfang und übergibt ihnen die zuvor im Team abgestimmten Tagespläne. Die Reha-Experten kennen das Schicksal jedes Patienten und seinen momentanen Therapie-Stand. „Vier Kreuzbandrisse, drei Meniskus-Problematiken, dazu Sehnen- und schwere Muskelverletzungen“, zählt Rademacher die aktuellen Fälle auf. Die Werkstatt hat eine Arbeitsteilung mit dem Physio-Team drei Etagen tiefer, das die Lizenzspieler vor und nach dem Training in den Räumen neben der Spielerkabine behandelt. „Erst wenn Verletzungen gravierender sind und die Spieler länger ausfallen, kommen sie zu uns“, erklärt Rademacher.

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Rademacher versorgt Amine Adli, der Ende März einen Sehnenriss im Oberschenkel erlitten hat.

Für die Aufgabe, „Spieler wieder fit zu machen“, wie es schlicht in der Umgangssprache heißt, muss sehr konsequent, oft bis an die Schmerzgrenze, gearbeitet werden. Das gilt für die verletzten Profis, aber ebenso für die Physiotherapeuten und speziell für die Trainer, die für die Rehabilitation von Sportverletzungen ausgebildet worden sind. Ihre Fähigkeiten, gepaart mit High-End-Technik, verkürzen in der Regel die Returnto-pitch-Zeiten erheblich. Kaum ein anderer Bundesligist bietet seinem kickenden Personal mit einem Equipment höchsten Standards so gute Möglichkeiten für die Rehabilitation.

Auf den ersten Blick wirkt das Trainings- und Rehazentrum unter dem Dach der BayArena wie ein sehr gut eingerichtetes Fitness-Studio, doch absolute Top-Produkte werten den High-Tech-Gerätepark entscheidend auf: das Alter-G, mit dem das Körpergewicht der Rekonvaleszenten auf dem Laufband um bis zu 80 Prozent reduziert werden kann, die intermittierende Vakuum-Röhre, die den Stoffwechsel bis in die feinsten Kapillaren anregt, die Kältekammer, wo ein Aufenthalt von drei Minuten bei Temperaturen von minus 110 Grad eine schmerzlindernde, durchblutungsfördernde und entzündungshemmende Wirkung auslöst, und der Höhentrainingsraum, in dem ein Training auf einer Höhe zwischen 2.000 bis 5.200 Metern simuliert werden kann, mit dem der Athlet seine sportlichen Ausdauerwerte auf Spitzenniveau halten soll. „Laufen wie auf dem Mond, Radeln wie in den Hochalpen, Frieren wie am Nordpol – hier ist nichts unmöglich.“ Mit diesem bewundernden Unterton bewertete die Frankfurter Allgemeine Zeitung einmal die Methoden der Werkstatt, für die Bayer 04 viel Geld in die Hand genommen hat.

Wenn die Verletzung schon gut versorgt ist, werden die Trainingszeiten immer länger

An diesem Wochentag nutzt nicht nur „Flo“ Wirtz die High-Tech-Anlagen als Ergänzung zu vielen Übungen an den „normalen“ Gerätetypen für das Ausdauer- und Kraft-Training. Doch so bedeutend die Technik auch ist, noch wichtiger sind die festangestellten Experten von Bayer 04, die die Spieler begleiten. „Die Geräte machen vieles leichter, aber ohne die gezielte und persönliche Betreuung ginge es nicht“, sagt Rademacher. Vieles ist und bleibt buchstäblich Handarbeit“: Übungen werden von den Reha-Trainern wie Rademacher individuell angeleitet und korrigiert. Die Spieler liegen aber auch auf der Behandlungsbank und werden von den Physiotherapeuten mit den verschiedensten Techniken behandelt, ihre Hände ertasten Verspannungen, lockern und massieren Muskeln. Wenn es benötigt wird, erhält der Sportler zudem eine Lymphdrainage. „Zu Anfang, wenn die Patienten mit einer akuten Verletzung oder nach einer Operation zu uns kommen, sind sie noch viel auf der Bank mit passiven Behandlungen und wenig in den Trainingsräumen. Das kehrt sich dann irgendwann um. Wenn die Verletzung schon gut versorgt ist, werden die Trainingszeiten immer länger“, sagt Rademacher, der die Therapie von Florian Wirtz seit Beginn organisiert und persönlich ständig begleitet. „Grundsätzlich ist es bei uns so, dass Profis eine 1:1-Betreuung von uns erhalten. Am Nachmittag kommen dann die Schüler aus den Junioren-Teams, die wir in Kleingruppen behandeln“, sagt Rademacher. Der gebürtige Oldenburger, der im Jahr 2010 mit der Eröffnung der Werkstatt zu Bayer 04 kam, schickte Wirtz eine SMS, als sich der Nationalspieler nach der Operation des gerissenen Kreuzbands noch in einer Klinik in Innsbruck aufhielt. Rademacher hieß ihn per Kurznachricht praktisch im Voraus herzlich willkommen in der Werkstatt. Dass während der langen Reha-Zeit oft eine intensive Beziehung zwischen Therapie-Coach und Patient entsteht, kann Rademacher nach vielen Jahren bestätigen.

In den über zwei Monaten in der Werkstatt hat Wirtz durch extrem fleißiges Training bereits signifikante Fortschritte erzielt. „In diesem Prozess testen wir regelmäßig, wie weit der Spieler ist und wann er wieder bereit ist, an den Einheiten mit der Mannschaft teilzunehmen“, erklärt Rademacher, der durch ein Studium an der Sportschule Köln ein Diplom mit Fachrichtung Rehabilitation und Prävention erlangte. Mit den Tests werden zum Beispiel die Beweglichkeit, das Stabilitätsgleichgewicht oder die Kraft, besonders in den verletzten Körperregionen, gemessen und festgestellt, wie viel der Patient von seinen Normalwerten abweicht. Diese Werte sind bekannt, weil alle Spieler vor der Saison eine umfangreiche Eingangsdiagnostik in der Werkstatt absolvieren.

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Arbeit am Ball: Carsten Rademacher mit Youngster Florian Wirtz.

„Anhand der Daten wissen wir, da muss der Spieler wieder hin, da war er vor der Verletzung“, sagt Rademacher. Auch die Tests basieren auf modernsten biomechanischen Verfahren. Kleine Inertialsensoren, die Bewegungen, Beschleunigungen und Geschwindigkeiten messen, werden am Körper befestigt und die Bewegungsabläufe werden parallel von Highspeed-Kameras aufgezeichnet. Die ermittelten Werte werden auf dem Bildschirm durch einen Skelett-Avatar anschaulich. „Wir erkennen anhand der Computerbilder, ob der Spieler den Fuß beim Laufen richtig aufsetzt oder sein Gewicht verlagert, weil er wegen der Verletzungen zu Ausweichbewegungen und einem Schongang tendiert. Ob sie es richtig machen, dafür haben die Spieler selbst in dieser Phase nur selten ein Gefühl. Wir korrigieren sie“, sagt Rademacher.

Manchmal müssen die Spezialisten ihre Patienten auch mental stützen. „In der Reha, die ja mehrere Monate andauern kann, gibt es immer mal Phasen, wo jemand auch nicht so gut drauf ist. Dann versuchen wir sie wieder neu zu motivieren und ziehen bei Bedarf auch unsere Sportpsychologen hinzu“, erklärt Rademacher. Bei Wirtz war das bisher nicht nötig. „Er ist ein Beispiel für eine sehr hohe Eigenmotivation. Florian ist sehr fokussiert.“ Der Nationalspieler schuftet, um in der nächsten Saison schnellstmöglich wieder im Spieltags-Kader zu stehen und an der WM 2022 in Katar teilzunehmen. Denn eins eint alle Spieler: Auch wenn in der Werkstatt eine Wohlfühl-Atmosphäre herrscht, möchte Wirtz sie wie alle anderen Patienten möglichst schnell verlassen.

Der Beitrag ist dem Werkself Magazin #36 entnommen. Hier geht's zum kostenlosen Online-Blätterkatalog!