Robert Andrich ist ein besonderer Profi mit einem besonderen Karriere-Weg. Im großen Interview, das im Werkself Magazin #33 Mitte Oktober 2021 erschienen ist, sprach der 27-jährige Mittelfeldspieler über seine Lehren aus den Anfangsjahren seiner Laufbahn, Tipps für junge Teamkollegen sowie die prägende Beziehung zu seinem Vater.
Robert, du hast dich Schritt für Schritt aus der Regionalliga in die Bundesliga vorgearbeitet und bist nach zwei intensiven Jahren beim 1. FC Union Berlin im vergangenen Sommer in Leverkusen gelandet. Wie ist dein Eindruck bislang von Bayer 04?
Andrich: Was am meisten auffällt, ist das hohe Niveau. Ich habe noch nie in so einer starken Mannschaft gespielt. Für mich ist es aber auch beachtlich, wie viele Menschen hier arbeiten. Ein Beispiel: Nach dem ersten Training etwa haben alle ihre Schuhe auf einen Tisch gestellt. Als ich fragte, warum sie das tun, erklärten sie mir, dass die da abgeholt und geputzt werden. Da war ich etwas verwirrt, weil ich es bis dahin nur kannte, dass ich meine Schuhe selbst putzen muss. Man merkt schon, dass das noch mal ein anderes Level ist. Hier wird alles dafür getan, dass sich die Mannschaft auf das Wesentliche konzentrieren kann. Aber ich erfahre hier die gleiche Liebe wie bei Union, es wird genauso locker und gut miteinander umgegangen.
Du bist ein spannender Typ und vereinst auf der einen Seite die spezielle Fußball-Romantik, weil du dich aus unteren Ligen hochgekämpft hast und noch von sportlichen Zielen träumst – und du auf der anderen Seite ja längst in der Bundesliga angekommen bist. Wie denkst du darüber?
Andrich: Sicher ist mein Karriereverlauf für die heutige Zeit eher speziell. Wenn ich mir die meisten meiner neuen Teamkollegen anschaue, die sind mit 18, 19, 20 von ihrem Heimatverein zu Bayer 04 gekommen oder hier ausgebildet worden – und ich bin eben den einen oder anderen Umweg gegangen. Von daher weiß ich die Voraussetzungen hier im Klub und den eigenen Status mehr zu schätzen. Aber natürlich wäre ich auch froh gewesen, wenn ich direkt mit 18 in der Bundesliga gespielt hätte. Ich denke aber, dass die Umwege, die ich gehen musste, mich auch zu dem Typen gemacht haben, der ich heute bin. Es hat ein bisschen länger gedauert, um zu wissen, wie ich mich geben und wie ich wahrgenommen werden möchte. Aber mit allem bin ich jetzt sehr zufrieden – genau so, wie es ist.
Kannst du präzisieren, welche Dinge du mehr zu schätzen weißt?
Andrich: Ich kann mir vorstellen, dass viele junge Spieler den Karrierestart ein bisschen lockerer nehmen, so wie ich das damals getan habe. Man hat Talent, ist jung und schon bei der ersten Mannschaft dabei – man denkt, dass das nun einfach so weitergeht. Ich habe dann vieles nicht mehr so ernst genommen, wie zum Beispiel das Thema Schlaf. Ich war regelmäßig unter der Woche feiern. Und ich wollte nicht auf die Warnungen anderer, wie zum Beispiel meiner Eltern, hören. Ich habe aber später zum Glück dann doch noch verstanden, dass gewisse Dinge notwendig sind, um erfolgreich zu sein und Qualität abrufen zu können.
Spielte der Wohnort damals eine Rolle?
Andrich: Das Umfeld hat natürlich einen großen Einfluss. Ich habe zu meiner Zeit bei Hertha II in einer Dreier-WG in Berlin gewohnt. Mit zwei Spielern aus der Mannschaft: einem älteren Führungsspieler und einem anderen 18-Jährigen. Dazu kam: Bei uns ging es fast um nichts, die Regionalliga war damals nicht gut. Wir waren meist viel besser als die Gegner, aber der Verein wollte nicht, dass wir aufsteigen – und absteigen war mit der Truppe gar nicht möglich. Von daher lief das so locker nebenher. So ist man mittwochs halt doch mal kurz rausgegangen, was dann mitunter um sechs Uhr morgens endete. Dann ging es nach zwei Stunden Schlaf zum Training, man hängt den ganzen Tag durch und rutscht so in dieses Leben, fühlt sich wohl, abends unterwegs zu sein und verliert den Faden. Aber in diesen Trott darf man nicht verfallen, was in Berlin sehr schwierig ist. Du musst sehr charakterstark sein und früh wissen, was du willst. Und: Dass du viel investieren musst, um zu erreichen, was du dir vorgenommen hast. Dieser Lebenswandel reicht nicht, um 1. oder 2. Bundesliga zu spielen.
Wann hast du das für dich realisiert?
Andrich: Naja, in Dresden etwa hatte ich nach dem Wechsel von Hertha II an sich eine schöne Zeit – auch da war die Party-Phase noch nicht zu Ende. Bei Dynamo lief es sportlich gesehen hingegen nicht gut für mich. Aber wenn man in Dresden Spieler ist, wird man verehrt. Ich kam dort in einen Klub und gefühlt erhielten dann alle Gäste eine Nachricht aufs Handy: Der Profi XY ist jetzt da. Alle schauen auf dich, das fühlt sich im ersten Moment in dem Alter natürlich ganz cool an. Aber auf dem Platz war es eine Katastrophe für mich. Ich habe fast nur auf der Tribüne gesessen. Und als uns die ganze Stadt für den Aufstieg in die 2. Liga gefeiert hat, hatte ich das Gefühl, eigentlich ein Nichtsnutz zu sein. Ich hatte ja nichts dazu beigetragen. Und dann sickerte langsam die Erkenntnis durch, dass nicht nur immer der Trainer für alles verantwortlich sein kann, und ich vielleicht doch gewisse Dinge ändern muss.
Hast du damals noch an eine Karriere in der Bundesliga geglaubt?
Andrich: Ja, da ich immer ein ausgeprägtes Selbstvertrauen hatte. Früher gipfelte das auch oft in Arroganz, da ich mir in den Kopf gesetzt hatte, ein Spieler zu sein, der immer seine Meinung sagt, geradeheraus ist und sich nichts gefallen lässt. Das hatte aber zur Folge, dass ich meist eine andere Meinung haben und ständig meinen Senf dazugeben wollte. Und das ist auf Dauer immer mehr nach hinten losgegangen. Ich habe dann ein wenig in mich hineingehorcht und mir vorgenommen, auch mal Dinge runterzuschlucken. Aber innerlich habe ich nie an einer Profi-Laufbahn gezweifelt, weil ich immer wusste, dass ich eigentlich ein guter Kicker bin und lediglich ein paar Dinge ändern muss, um ans Ziel zu kommen.
Was war der Wendepunkt?
Andrich: Der wichtigste Schritt meiner Karriere war der Wechsel zu Wehen Wiesbaden. Ich habe einen Verein gesucht, der in der 3. Liga Ambitionen hat, oben mitzuspielen. Und eine Mannschaft, die aktiven Fußball spielt, wo meine Art zur Geltung kommt. Ich habe dort meine jetzige Frau kennengelernt und mich immens weiterentwickelt – und von da an ging es ja ganz gut nach oben. (lacht)
Vermittelst du deine Erfahrungen mittlerweile an junge Spieler?
Andrich: Zum einen möchte ich von Tag zu Tag auf dem Platz vorleben, dass Qualität durch Fleiß kommt. Mit mittlerweile 27 Jahren sage ich den jungen Spielern auch mal, was sie machen sollen und was nicht. Ich selbst habe damals nie auf diese Ratschläge gehört und immer nur gesagt: ‚Mach‘ dir mal keinen Kopf, ich bekomme das schon hin.‘ Aber du bekommst das auf diesem Niveau nicht einfach so locker hin, du musst schon früh funktionieren.
Heutzutage werden junge Spieler viel früher viel intensiver geformt als zu deiner Zeit. Denkst du trotz deiner Erfahrungen manchmal, dass die Entwicklung in den Akademien auch zu weit gehen kann?
Andrich: Mich stört ein wenig, dass heutzutage alle sehr früh die gleichen Vorgaben erhalten. Begriffe wie Gegenpressing sind meiner Meinung nach bei der U10 fehl am Platz. In dem Alter solltest du Spaß haben und einfach spielen, ohne zu viel über Taktiken nachzudenken. Oder die Tatsache, dass keine richtigen Typen mehr in der Bundesliga ankommen. Das kommt auch dadurch, dass du früh gesagt bekommst, was du sagen sollst und was nicht. Das ist sehr schade, und ich bin froh, dass ich noch meinen eigenen Kopf durchsetzen konnte und mir nicht alles vorgegeben wurde.
Muss man sich auf deine direkte Art ein wenig einstellen?
Andrich: Ich bin immer für einen lockeren Spruch zu haben und es fällt mir leicht, mit Leuten zu reden, die ich nicht kenne. Aber manchmal habe ich das Problem, dass man relativ schnell spürt, wenn mir eine Person vielleicht nicht auf Anhieb sympathisch ist. Daran muss ich noch arbeiten, vor allem an meiner Mimik und Gestik. Aber das ist nie böse gemeint. Ich habe selbst bei manchen Menschen die Erfahrung gemacht, dass sie total abgehoben sind, wenn Erfolg gekommen ist. Nach dem Motto: Wer bist du denn? Was willst du von mir? So wollte ich nicht werden. Ich will auf keinen Fall arrogant oder abweisend wirken.
Es hieß sofort nach der Verpflichtung, in Robert Andrich hat Bayer 04 einen richtigen Mentalitätsspieler geholt. Trifft diese Beschreibung auf dich zu?
Andrich: Ja, das passt schon gut, finde ich. Aber ich denke, ein Mentalitätsspieler zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass er auch mal dazwischen grätscht und foult. Mentalität bedeutet auch, wie gehe ich mit meinen Mitspielern um, wie versuche ich, etwa einem jüngeren Spieler, der nicht aus Deutschland kommt und eine Sprachbarriere hat, wirklich zu helfen. Und das muss man tun. Ich bin 27, habe zuvor zwar „nur“ zwei Jahre Bundesliga gespielt, aber schon viel Erfahrung gesammelt. Ich weiß sehr gut, wie der deutsche Profi-Fußball funktioniert und um was es hier geht. Und deswegen versuche ich, die Teamkollegen mitzureißen und ihnen zu helfen.
Dein Vater Lutz war auch Fußballer und ist bis heute ein wichtiger Ratgeber. Sagt er auch mal nach dem Spiel: „Junge, das war nichts“?
Andrich: (lacht) Das Feedback ist über die Jahre positiver geworden. Wenn wir in der Jugend nach einem Spiel nach Hause gefahren sind, dann wurde zehn Minuten über meine Leistung gesprochen und danach herrschte eine halbe Stunde Funkstille, da ich so sauer war, weil seine Kritik schon relativ hart war. Aber das hat sich über die Jahre eigentlich gebessert. Das hat auch damit zu tun, dass ich jetzt erwachsen bin und wir nun über Leistungen auf Bundesliga-Topniveau sprechen. Er kann richtig einschätzen, dass ich in manchen Situationen anders agieren muss, als er es von mir kennt. Und da kann er dann ab und zu mal die eine oder andere Kritik runterschlucken. Wir sind nun einmal sehr, sehr ehrlich miteinander, und er ist sehr stolz auf mich.
War er auch dein Vorbild oder konnte er das nicht sein, weil die Kritik von ihm zu hart war?
Andrich: Man muss das schon richtig einordnen. Ich wurde nie von ihm runtergemacht. Aber harte Kritik war schon Standard, mein Vater hat sehr früh sehr viel von mir verlangt und wollte, dass ich mein Talent nicht verschwende. In meiner Jugend gab es abseits des normalen Trainings noch Sonderschichten mit ihm, das waren ganz banale Dinge wie Jonglieren mit strengen Wechseln: nur links, dann nur rechts. Und dann hat er gesagt: Bis du eine bestimmte Anzahl schaffst, gehen wir nicht nach Hause. Desto älter ich wurde, desto mehr hat er aber eher versucht, mir Sachen an die Hand zu geben, so dass ich mich als Persönlichkeit weiterentwickle. Darum hat er sich sehr große Sorgen in der Zeit gemacht, die aufgrund des ausufernden Nachtlebens nicht meine beste war…
…hat er das mitbekommen?
Andrich: Natürlich – meine Eltern sind nicht blöd. Wenn die mich an den Wochenenden spielen gesehen haben, war ihnen schon klar: ‚Der Junge hatte wieder ne harte Woche.‘ Da hatte mein Vater befürchtet, dass ich mir alles versaue. Umso stolzer sind beide nun auf mich, dass ich es doch noch in die Bundesliga und nun sogar zu einem großen Klub wie Bayer 04 geschafft habe.
Vereinswechsel gehören zum Profi-Fußball dazu. Dennoch kann man sie oftmals nicht weit im Voraus vorbereiten – auch nicht mental. Gibt es etwas, das dich am Profi-Fußball nervt?
Andrich: Also meine Frau würde jetzt ganz klar sagen: die Umzüge. Sie war hochschwanger während des Umzugs von Berlin ins Rheinland. Dazu kommt: Wir sind jetzt seit knapp fünf Jahren zusammen und bereits das vierte Mal umgezogen. Sogar in Berlin sind wir einmal umgezogen. (lacht) Von daher ist sie ganz froh, wenn wir jetzt mal eine Zeit lang an einem Ort bleiben. Dazu kommt: Meine Frau ist für das Aufbauen der Schränke zuständig – und ich für das Kochen. Das ist vielleicht nicht die klassische Rollenverteilung, aber für uns passt das gut.
Wie gefällt dir dein neues Wohnzimmer, die BayArena, und was sind deine sportlichen Ziele mit Bayer 04?
Andrich: Das ist ein sehr schönes Stadion mit eigenem Flair, es gefällt mir sehr gut. Und bei den ersten Heimspielen der Saison gegen Dortmund und Gladbach, bei denen ich auf dem Rasen dabei war, herrschte eine gigantische Stimmung. Auch deshalb ist es mein größter Wunsch, mit Bayer 04 erst in der Europa League und nächstes Jahr in der Champions League diese besondere Atmosphäre zu Hause und auswärts zu erleben. Das wäre schon sehr krass für mich. Aber ich glaube auch: Wenn man zu viel darüber nachdenkt und sich in diese Dinge reinträumt, kann man sich auch darin verlieren. Deswegen bin ich in den vergangenen Jahren gut damit gefahren, den Moment zu genießen und das Beste daraus zu machen. Aber natürlich bin ich dem Ziel Königsklasse in Leverkusen mittlerweile näher. Warten wir‘s mal ab.
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